merowingische Kunst

merowingische Kunst
merowingische Kunst,
 
die Kunst des Frankenreiches unter den Merowingerkönigen vom 5. Jahrhundert bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts. Der historischen Epochenbezeichnung entspricht keine stilgeschichtliche Einheit, vielmehr spiegelt sich in der Kunst der übergreifende Prozess der Auseinandersetzung heidnisch-germanischer mit christlich-spätantiker Kultur wider. Der Formenschatz entstammt weitgehend dem mittelmeerischen Raum, doch wird er durch spezifisch germanische Neigungen zum Ornamentalen, Koloristischen und Flächenhaften modifiziert. Träger der kulturellen Entwicklung des in Eroberungskriegen und in der Völkerwanderung sich behauptenden Reiches ist v. a. die Kirche mit den städtisch-aristokratischen Zentren der Bischofssitze und den seit dem 6. Jahrhundert weit verbreiteten Klöstern. Für die Klöster entwickelte sich bald die zukunftsweisende Form der um den Kreuzgang zentrierten Gebäudeanlage. Die Sakralarchitektur ist offenbar in Grundriss, Aufbau und Bauweise von spätantiken Bauformen bestimmt; selbst die einfachsten Anlagen haben geometrische Grundrissplanung: die oft hölzernen Rechtecksäle bilden im Grundriss ein doppeltes Quadrat (Saint-Pierre in Vienne, 5. Jahrhundert; Baptisterium in Poitiers, 6./7. Jahrhundert). Daneben entstanden oktogonale Baptisterien sowie Basiliken, wobei sich als merowingische Sonderform die Herausbildung von Kuppeltürmen zwischen Mittelschiff und Apsis abzeichnet (gesichert für die Bischofskirche in Nantes, geweiht um 558). Eine besondere Entwicklung zeigen auch die seit der Spätantike üblichen offenen Umgänge; sie werden in Gallien in der Verlängerung der Querschiffarme die bevorzugten Orte für Bestattungen und später auch für Altäre. Wesensunterschiede zu antiken Bauten scheinen sich am ehesten im Innenraum auszuprägen: in der Verunklärung von Proportionen und Achsen und im Vorrang des Dekors vor der Gliederung. Der spätantik orientierte Baudekor zeigt in Chorschrankenplatten, der Kapitell- und Sarkophagplastik hohe Qualität, v. a. in ornamentalen Darstellungen. Bei der Gestaltung von Steingrabmälern wurde christliches Gedankengut mit heidnischen Vorstellungen vermischt (Grabstein Niederdollendorf, 7. Jahrhundert; Bonn, Rheinisches Landesmuseum). Bis zum 7. Jahrhundert wurden noch Grabbeigaben gegeben: Kleidung, Waffen, Fibeln, Schnallen, Zierscheiben mit Almandineinlagen (Grab Childerichs I., Grab der Arnegunde in der Basilika von Saint-Denis; der Schmuck befindet sich heute im Louvre in Paris). Sie sind zum Teil von der Kunst Kleinasiens beeinflusst. Daneben erscheinen Kerbschnittarbeiten und immer häufiger Gegenstände, die mit Bandgeflecht geschmückt sind, durchsetzt mit Tierornamentik. An Kultgeräten sind Kelche sowie mit Schmucksteinen besetzte und mit figürlichen Pressblechen verkleidete Reliquienschreine erhalten, ferner Elfenbeinarbeiten (Reliquiare, Pyxiden, Buchdeckel liturgische Bücher u. a.). Die in den Klöstern gepflegte Buchmalerei (v. a. Luxeuil und Corbie) ist durch die Fisch- und Vogelornamentik gekennzeichnet, die an irisch-angelsächsische Vorbilder anknüpft. In ihr verbinden sich auf jedem Blatt Schrift und Symbol zu einem einheitlichen Bild aus ornamentalen Verflechtungen in wenigen kräftigen Farben (Sacramentarium Gelasianum, um 750; Rom, Vatikanische Bibliothek)..
 
 
Das erste Jahrtausend. Kultur u. Kunst im werdenden Abendland an Rhein u. Ruhr, hg. v. K. Böhner, 3 Bde. (1962-64);
 J. Hubert u. a.: Frühzeit des MA. (a. d. Frz., 1968);
 A. Corboz: Frühes MA. (a. d. Frz., 1971);
 P. Périn: Collections mérovingiennes, Ausst.-Kat. (Paris 1982).

Universal-Lexikon. 2012.

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